3 Gedichte

Written in German by Michael Fehr

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Im Schwarm

Unter einer heiteren
hell strahlenden
Lampe
sonst und des Weiteren im Stockdunkeln
steht ein Mann in einen Mückenschwarm
der ihm eitel Mühe macht
manchmal sticht eine
immerhin ober nicht
denn oben hockt ein Hut drauf
auf dem Kopf
und in Nacken steht Jackenkragen
manchmal sticht eine
dann reibt der Mann jeweils den heissen Hals
die heisse Nase
heisse Wange
aber es geht unsäglich lange
bis die Hand anlangt
um zu reiben
nebst dem bewegt er sonst irgendwie die Hände in den Mücken umher
um sie loszuwerden
aber längst zu langsam
als dass sie es gross bemerken würden
manchmal stich eine
was belibt ihm
manchmal ruft er
“Gerechtigkeit”
in die Dunkelheit
“Ehre
Redlichkeit”
“Du bist wie ein alter Schlarpi
grausam verlangsamter Idiot”
surrt es aus dem Schwarm
manchmal sticht eine
“Ich bin nicht alt
es ist halt
ich bin schlicht zu früh im Leben geboren worden”
murrt er
manchmal sticht eine
manchmal sticht eine

*

Leuchtende Gesichter

ein mann geht in einem langen schwarzen mantel durch die nacht und wäre kaum zu sehen da es eine finstere nacht ist wenn er nicht das licht seines mobiltelefons benützen würde um sich im finstern zurechtzufinden und wenn nicht hinzukäme dass sein gesicht leuchtet

manchmal kommt ihm jemand entgegen schaut ihn zutraulich oder scheel oder schauerlich an oder schaut deutlich weg

einmal kommt ihm jemand entgegen und sagt «dein gesicht leuchtet»

der mann löscht das mobiltelefon steckt es ein hat die hände frei hält sie vors gesicht und sieht die hände im licht seines gesichts «mein gesicht leuchtet»

der mann geht die hände in den langen schwarzen mantel vergraben durch die nacht benützt das licht seines gesichts um sich im finstern zurechtzufinden

einmal kommen ihm eine kuh und ein kind entgegen ihre gesichter leuchten er sieht sie von weitem im licht ihrer gesichter ihm entgegenkommen und ruft «eure gesichter leuchten»

wenn die kuh stark schnaubt und ihr starker und behäbiger kopf ins wanken gerät scheint sie ihre vom licht ihres gesichts erleuchtete umgebung in wankende bewegung zu versetzen

das kind richtet sich an den mann «unsere gesichter leuchten und wenn uns jemand entgegenkommt werden wir angeschaut und darauf angesprochen können wir nicht mit dir mitkommen und zu dritt durch die nacht gehen» «kommt mit wir werden uns schon zurechtfinden»

die kuh das kind und der mann im schwarzen mantel gehen zu dritt im licht ihrer gesichter durchs finstere machen sich damit vertraut dass ihre gesichter leuchten und gewöhnen sich daran

*

Welche Einfall

Niemand in der Familie hat Fantasie
die Mutter nicht
der Vater keine
die Tochter keine Fantasie
der Sohn keine Fantasie
niemand hat Potenzial
man lebt das Leben der Familie von früh bis spät
und nachts kommt man in den Betten der Familie zum Erliegen

Eines Nachts aber dann geht im Traum der Tochter die Mutter um
es fällt ihr ein
dass sie sich aus befremdlichem
violettem Spezialmaterial einen verflixten Helm kreiert mit einer unermesslichen Spitze
sie stellt sich mit violettem Helm inmitten der Familie auf
die die Finger ineinander verflicht
auf dass die Mutter das Geflecht besteige
welches als Abschussvorrichtung vorgesehen ist
Vater
Sohn und Tochter gehen
die Mutter in der Mitte
in die Knie und auferstehen
auf dass sich die Mutter senke und hebe
sie gehen in die Knie und auferstehen
bis es genug ist und es die Mutter aus dem Schoss der Familie hinaussprengt
sie prescht hinaus und weiter hinaus
gerät durch den Mond
den sie mit violettem Helm durchschlägt
um ein sauberes Loch zu hinterlassen der Rückkehr wegen
rauscht weiter hinaus
bis an den toten Punkt
an dem das Licht der Sonne endet
im toten Punkt glückt es der Mutter zu wenden
worauf sie zurückstrebt
sie gerät ins Licht zurück
schiesst mit violettem Helm durch das Loch im Mond und kommt im Schoss der Familie zum Erliegen

Die Tochter verschweigt den Traum
man lebt das Leben der Familie von früh bis spät

Eines frühen Tages aber dann weckt die Mutter  verfrüht den Mann
den Sohn
die Tochter
«Mir fällt ein
dass ich mir einen violetten Helm kreiere mit einer unermesslichen Spitze»
benommen überdauert die Familie die Vorbereitungen der Mutter
aber dann stellt sie sich mit violettem Helm inmitten der Familie auf
die gemäss ihren Anweisungen die Finger ineinander verflicht
auf dass die Mutter das Geflecht besteige
Vater
Sohn und Tochter gehen
die Mutter in der Mitte
in die Knie und auferstehen
auf dass sich die Mutter senke und hebe
sie gehen in die Knie und auferstehen
bis es genug ist und es die Mutter aus dem Schoss der Familie hinaussprengt
sie prescht hinaus und weiter hinaus
gerät durch den Mond
den sie mit violettem Helm durchschlägt
rauscht weiter hinaus
bis an den toten Punkt
an dem das Licht der Sonne endet
«Verflixt
welch Einfall
wie berauschend»
verkündet sie
obwohl sie nicht zu hören ist
daheim singt die Familie lauthals und tanzt im Kreis und feiert die unermessliche Potenz des eigenen Geschlechts
im toten Punkt glückt es der Mutter zu wenden
worauf sie zurückstrebt
sie gerät ins Licht zurück
schiesst mit violettem Helm durch das Loch im Mond und kommt endgültig vernünftig im Schoss der Familie zum Erliegen
welche sie aufs Allerherzlichste empfängt und beglückwünscht

Published July 10, 2019
© Michael Fehr

3 Poems

Written in German by Michael Fehr


Translated into English by Shaun WhitesideFredy Bünter and Cécile Müller

In the swarm

Beneath a cheerful
brightly shining
lamp
otherwise and furthermore in pitch darkness
there stands a man in a swarm of mosquitos
trying to trouble him terribly
sometimes one stings
albeit not on the top
because on the top a hat sits on it
on the head
and at the nape the jacket collar stands up
sometimes one stings
then each time the man rubs his hot neck
his hot nose
hot cheek
but it takes an unspeakably long time
until the hand arrives to rub
apart from that he somehow waves his hands around in the mosquitos
to get rid of them
but far too slowly
for them to notice much
sometimes one stings
what’s left for him to do
sometimes he cries
‘justice’
into the darkness
‘honour
honesty
‘you’re like an old shuffler
you cruelly slowed-down idiot’
it hums out of the swarm
sometimes one stings
‘i’m not old
it’s just
i was simply born too early in life’
he grumbles
sometimes one stings
sometimes one stings

(transl.  Shaun Whiteside)

*

Glowing Faces

A man in a long black coat walks through the night and would hardly be seen as it is a dark night if it weren’t for his using the light of his mobile phone to find his way in the darkness and if it weren’t for his face glowing

From time to time somebody comes towards him looks at him trustingly or askew or hauntedly or plainly looks away

At one time somebody comes towards him and says «your face is glowing»

The man switches the mobile phone off pockets it has his hands free holds them in front of his face and sees his hands in the light of his face «my face is glowing»

The man walks through the night his hands buried in the long black coat uses the light of his face to find his way in the darkness

At one time a cow and a child come towards him

Their faces are glowing

From afar he sees them in the light of their faces coming towards him and calls out «your faces are glowing»

As the cow snorts strongly and her strong and portly head starts to sway she seems to set her surroundings lit by the light of her face into a swaying motion

The child addresses the man «our faces are glowing and when somebody comes towards us we are looked at and asked about it may we not come along with you and the three of us walk through the night»

The man «come along we will find our way somehow»

The cow the child and the man in the black coat walk the three of them in the light of their faces through the darkness familiarising themselves with their faces glowing and getting used to it

(transl. Fredy Bünter and Cécile Müller)

*

What an idea

No one in the family has imagination
not the mother
none the father
the daughter no imagination
the son no imagination
no one has potential
one lives the life of the family from dawn till dusk
and at night in the beds of the family one succumbs

But one night 
the mother haunts the daughters dream
 it occurs to her
that she should create herself from strange
special lilac material a dratted helmet with an immeasurable point
she poses with her lilac helmet amidst
 the family
who mesh their fingers
so that the mother may climb the mesh
intended as a firing mechanism
father
son and daughter
with the mother in the middle
bend their knees and arise
so that the mother may lower and lift
they bend their knees and arise
until it is enough and the mother is blasted  from the bosom of the family
she dashes out and further out
gets through the moon
which she smashes with lilac helmet
leaving a clean hole for the return’s sake
rushes further out
unto the dead point
where the light of the sun expires
in the dead point the mother manages to turn around
whereupon she gravitates back
she gets back into the light
shoots with lilac helmet through the hole in the moon and succumbs in the bosom of the family
The daughter keeps the dream quiet
one lives the life of the family from dawn till dusk

But early one day, the mother  wakes the husband
the son
the daughter
‘It occurs to me
that I should create myself a lilac helmet with an  immeasurable point’
the family numbly endures the mother’s preparations
but then she poses with lilac helmet  amidst the family
who according to her instructions mesh their fingers
so that the mother may climb the mesh
father
son and daughter
with the mother in the middle
bend their knees and arise
so that the mother may lower and lift
they bend their knees and arise
until it is enough and the mother is blasted from the bosom of the family
she dashes out and further out
gets through the moon
which she smashes with lilac helmet
rushes further out
unto the dead point
where the light of the sun expires
‘Darn it
what an idea
what a rush’
she exclaims
although she cannot be heard
at home the family sings at the top of their voices and dances in a circle and celebrates the immeasurable potency of its own kin
in the dead point the mother manages to turn around whereupon she gravitates back
she gets back into the light
shoots with lilac helmet through the hole in the moon and finally truly succumbs in the bosom of the family
who all welcome and congratulate her with the utmost warmth

(transl. Shaun Whiteside)

Published July 10, 2019
© Shaun Whiteside
© Fredy Bünter and Cécile Müller

3 poemas

Written in German by Michael Fehr


Translated into Portuguese by Guilherme Gontijo Flores

No enxame

Sob uma alegre
clara luzente
lâmpada
contraposta ao escuro do quarto
está um homem num enxame de mosquitos
que o irrita
às vezes um pica
ao menos não no alto
porque em cima dele fica um chapéu
na cabeça
e no pescoço tem a gola do casaco
às vezes um pica
então o homem coça o pescoço quente
o nariz quente
rosto quente
mas é incrivelmente lento
até que a mão alenta
para coçar
além isso também move a mão entre os mosquitos
pra se livrar deles
mas alenta mais lento
do que se poderia perceber
às vezes um pica
o que lhe resta?
às vezes ele clama
“Justiça”
na escuridão
“Honra
honestidade”
“Você parece um velho molenga
um idiota lerdo e besta”
chia um do enxame
às vezes um pica
“Eu não sou velho
dá pra vê-lo
eu só nasci cedo demais na vida”
ele resmunga
às vezes um pica
às vezes um pica

*

Caras brilhantes

um homem anda num longo casaco preto noite adentro e mal seria visto já que é noite escura se não usasse a luz do celular pra se achar no escuro e se sua cara não brilhasse

vez por outra chega alguém pra ele olha com confiança ou de lado ou sombrio ou direto pra longe

uma vez vem alguém pra ele e diz “a sua cara brilha”

o homem desliga o celular põe no bolso fica de mãos livres põe as duas na frente da cara e vê as mãos à luz da própria cara “a minha cara brilha”

o homem anda as mãos enterradas no longo casaco preto noite adentro usa a luz da cara pra se achar no escuro

uma vez vêm pra ele uma vaca e uma criança as caras delas brilham ele as vê de longe à luz das caras vindo pra ele e grita “as suas caras brilham”

quando a vaca bufa forte e a sua cabeça forte e estólida sacode parece dispor o entorno brilhante pela luz da sua cara num movimento sacudido

a criança se volta ao homem “as nossas caras brilham e quando alguém vem nós somos olhados e questionados não dá pra andarmos juntos em três noite adentro” “venha junto a gente vai se achar”

a vaca a criança e o homem de casaco preto vão em três à luz das caras no escuro se familiarizam com o brilho das caras e assim se acostumam

*

Mas que ideia

Ninguém na família tem fantasia
a mãe não
o pai zero
a filha zero fantasia
o filho zero fantasia
ninguém tem potencial
vivem a vida da família da manhã à noite
e à noite vão à cama da família pra tombar

Certa noite porém no sonho da filha a mãe passeia
vem-lhe a ideia
que ela usa um estranho
louco capacete roxo de matéria especial com uma ponta imensa
ela estanca com seu capacete roxo no meio da família
que entrelaça os dedos
pra mãe subir na trança
que servirá de plataforma de lançamento
Pai
filho e filha seguem
a mãe vai no meio
de joelhos e ressuscita
e assim a mãe afunda e sobe
vai de joelhos e ressuscita
até que basta e a mãe salta pra fora do ventre da família
e corre afora além e afora
até cruzar a lua
que ela atravessa com seu capacete roxo
pra deixar um buraco limpo no retorno
acorre mais além
até o ponto morto
onde acaba a luz do sol
no ponto morto a mãe se vira
ali ela se esforça
e volta até a luz
dispara com capacete roxo pelo buraco da lua e vai parar no vente da família

A filha cala seu sonho
vivem a vida da família da manhã à noite

Certa manhã porém a mãe desperta antes do marido
do filho
da filha
“Vem-me a ideia
que uso um capacete roxo com uma ponta imensa”
no espanto a família aporta os preparativos da mãe
mas ela estanca com capacete roxo no meio da família
que seguindo suas instruções entrelaça os dedos
pra mãe subir na trança
Pai
filho e filha seguem
a mãe vai no meio
de joelhos e ressuscita
e assim a mãe afunda e sobe
vai de joelhos e ressuscita
até que basta e a mãe salta para fora do ventre da família
e corre afora além do afora
até cruzar a lua
que ela atravessa com seu capacete roxo
acorre mais além
até o ponto morto
onde acaba a luz do sol
“Que louco
que ideia
mais inebriante”
ela anuncia
ainda que sem ser ouvida
então a família canta alto e dança em roda e festeja a imensa potência da própria raça
no ponto morto a mãe se vira
ali ela se esforça
e volta até a luz
dispara com capacete roxo pelo buraco da lua e vai parar sensata e serena no ventre da família
que de todo coração a recebe e felicita

Published July 10, 2019
© Guilherme Gontijo Flores


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