From In der Fremde sprechen die Bäume arabisch
Written in German by Usama Al Shahmani
Was waren denn Wurzeln? Haben wir Menschen auch welche? Konnte ich verbindlich behaupten, dass ich ein Iraker war? Und was würde sich ändern, wenn ich kein Iraker wäre? Ich freute mich über den schönen Baum, und es war mir egal, ob seine Wurzeln in Europa oder Asien lagen.
Der Wald in der irakischen Kultur verbindet sich mit Ungewissheit und mit Geschichten über böse Geister und Dämonen. Im Wald kann man sich verlieren und nicht mehr herausfinden. Palmwälder sind ein Ort, dem es an Sicherheit und Klarheit mangelt. Wir lieben Bäume, aber verabscheuen den Wald.
Mir waren alle diese Bäume in dem Wald fremd bis auf einige wenige, die in einer schönen Reihe dastanden wie ein arabisches Gedicht aus sieben Worten. Sie waren mir gleich vertraut, als seien wir alte Bekannte. Sie formten eine Gemeinschaft, wie eine wahre Liebe.
Ich weiß nicht, was mich dazu bewog, diese Bäume mit lauter Stimme anzusprechen. War es ihre beeindruckende Erscheinung? Eine große Linde in der Mitte war für mich wie eine Mutter, und ich sagte in der Stille unter den Bäumen zu ihr auf Arabisch: hub. Das Echo kam nicht als «Liebe» zurück, sondern auf Arabisch. Ich war verblüfft und fuhr fort: semah – schager, Himmel – Bäume.
Hub – semah – schager – Das arabische Echo kam anders aus dem Wald zurück; es hörte sich schlanker an, schärfer. Es war ein schönes Gefühl, Arabisch zu hören im Wald. Es war also gar nicht so, dass die Natur stumm 13war, man musste sie nur ansprechen und ihr zuhören. Und die Bäume in der Fremde sprachen sogar arabisch, sagte ich mir und öffnete meine Arme. Ich saugte den Duft der Bäume in mich auf, betrachtete die Zweige und Knospen und spürte, dass mich der Wald annahm. Ich bekam das Gefühl, dass ich die Wege kannte, pfiff auf die Wegweiser – und verirrte mich. Angst, nicht mehr herauszufinden, hatte ich trotzdem nicht.
Im Irak war ich nie im Wald. Die Bilder von Bäumen und Wäldern in meinem Kopf stammen aus Geschichten, die mir meine Großmutter erzählte. Ich wuchs in Städten auf, in denen nur wenig Grünflächen anzutreffen sind. Abgesehen von privaten Gärten sieht man Bäume nur auf den Feldern außerhalb der Stadt. Unsere einheimischen Bäume, die Dattel, Oliven, Granatapfel und Zitronenbäume, werden von Menschenhand gepflanzt und gepflegt. Bäume in freier Natur wachsen anders, das hatte meine Professorin, die uns damals in moderner arabischer Lyrik unterrichtete, immer wieder betont. Ihre Liebe zur Natur und zu Bäumen war so leidenschaftlich wie die für kurze Texte. Sie war körperlich und geistig fit, und wenn sie von Poeten und Dichtern sprach, war sie sich ihrer Sache so sicher, als hätte sie täglich Umgang mit ihnen.
«Die schönsten Verse der Poesie sind jene, die die Natur widerspiegeln, und ein gutes Gedicht muss man auswendig gelernt haben, um seine Seele lebendig zu halten», sagte sie.
Ihr Einfluss auf die Klasse war groß, viele Studenten waren in sie verliebt, mich eingeschlossen. Sie war schön, offen, liberal, ledig und hatte eine starke Persönlichkeit. Vor so einer Persönlichkeit hatten viele irakische Männer nicht nur Respekt, sondern waren ihr gegenüber sogar achtsam. Bei den Professoren war sie unbeliebt mit ihrem Selbstbewusstsein, starke Frauen sieht man in unserer Gesellschaft, egal in welcher Schicht, nicht gern, man hat lieber schwache, die ohne Mann nicht zurechtkommen. Der Krieg hat die Position der Frau zusätzlich geschwächt und ihr weitere Freiheiten genommen. Diese Professorin war das genaue Gegenteil solcher Vorstellungen. Einmal sagte sie uns: «Wenn ich mich als Kind zu Hause unterdrückt fühlte, ging ich barfuß in unseren Garten. Ich brach kleine Äste des Granatapfelbaumes ab und begann, mit ihnen zu spielen. Heute noch tue ich dasselbe, denn das beste Mittel gegen die Bitterkeit ist für mich die Nähe zu Bäumen, aber anstatt mit Ästen zu spielen, schreibe ich heute damit ein kurzes Gedicht auf die Erde.»
«Wieso Granatäpfel, haben Sie keine anderen Bäume?», fragte sie eine Studentin.
«Doch, wir haben andere Bäume, aber der Granatapfelbaum ist in unserer Kultur der Baum der Liebe, das müssten Sie eigentlich wissen», sagte sie und begann, ihre Bücher zusammenzuräumen.
Ich wusste, was sie meinte, meine Großmutter hatte es mir einmal erzählt. An jedem Granatapfelbaum hängen viele Granatäpfel, doch nur einer, ein einziger von 15ihnen trägt einen ganz besonderen Kern. Dieser Kern gehört dem Paradies, und wer diesen Kern gekostet hat, dem soll Liebe, Freude und Glück im Leben widerfahren. «Teile nie eine Granatapfelfrucht mit jemandem, mein Sohn, denn du weißt nicht, ob du nicht deine Liebe weitergibst», hatte mir meine Großmutter eingeschärft.
Dass kein Granatapfelbaum in diesem Wald zu finden war, hatte mich nicht daran gehindert, dasselbe zu tun. Ich versuchte, wie meine Professorin meine Worte mit Ästen auf den Boden zu schreiben. Ich wischte das Laub zur Seite und schrieb ein kleines Gedicht:
Ich bin der Fremde.
Ich habe Hoffnung
und einen Koffer voller Geheimnisse.
Beides trage ich und gehe,
wie ein Sufi, der geduldig
zu blühen versucht, wo immer
der Herr ihn hingepflanzt hat.
Als ich die Zeilen auf dem Waldboden hinterließ, beruhigte mich der Gedanke, dass sich ein Leser wohl auch etwas fremd vorkommen würde, wenn er meine arabischen Zeichen antraf. Kann man sich in der Natur fremd fühlen?, fragte ich mich. In jenem Moment empfand ich absolute Liebe und Zugehörigkeit.
Published November 7, 2022
Excerpted from Usama Al Shahmani, In der Fremde sprechen die Bäume arabisch, Limmat Verlag, Zürich 2018
© Limmat Verlag 2018
From In Far Away Places the Trees Speak Arabic
Written in German by Usama Al Shahmani
Translated into English by Bryn Roberts
What exactly are roots? Do people have them too? Could I really claim with any certainty that I was Iraqi? And if I weren’t Iraqi, what difference would it make? The beautiful tree made me happy, and it didn’t matter to me in the least whether its roots lay in Europe or in Asia.
In Iraqi culture, forests are associated with uncertainty, and stories about demons and evil spirits. A forest is a place where you can lose yourself and never find your way out. Palm forests are places lacking in security and serenity. We love trees, but hate the forest.
All these trees in the forest seemed strange to me expect for a few, which stood sweetly aligned like an Arabic poem in seven words. They felt instantly familiar, as if we were old friends. They formed a community, like a true love.
I’m not sure what prompted me to speak out loud to those trees. Was it their imposing presence? A big lime tree in the middle seemed to me like a mother, and I said to her, in Arabic, from the stillness under the trees: hub. The echo came back not as “love”, but in Arabic. I was astonished, and kept going: semah – schager, heaven – trees.
Hub – semah – schager – The Arabic echo came back different from the forest; it sounded leaner, sharper. It was a nice feeling, hearing Arabic in the forest. It wasn’t true at all that nature had no voice, you just had to speak to her and listen. And the trees in this foreign land even speak Arabic, I said to myself, and spread my arms. I breathed deep the scent of the trees, feasted my eyes on buds and branches, and sensed that the forest accepted me. The feeling came over me that I knew where all the paths led, signposts were superfluous – and I got lost. Yet I never worried that I wouldn’t find my way out again.
In Iraq, I had never gone to the woods. The images of woods and trees in my head came from stories that my grandmother told me. I grew up in the city where green spaces were rare. Apart from private gardens, you only see trees in the fields outside the city. Our native trees – date, olive, pomegranate and lemon – are planted and tended by man. Trees in the wild grow differently, that was what my lecturer, who was teaching us modern Arab poetry, was always telling us. Her love of nature and of trees was as passionate as her love for short texts. She was fit, physically and mentally, and when she spoke of writers and poets, she was as sure of her stuff as if she hung out with them every day.
“The most beautiful verses in poetry are those that mirror nature, and a good poem must be learnt off by heart to keep its spirit alive,” she said.
She had a powerful influence on the class, many of the students were in love with her, me included. She was beautiful, liberal, sincere, and single, and had a strong personality. Confronted with this kind of personality, many Iraqi men responded not just with respect, they were also wary of her. Her self-confidence won her no popularity among the professors, in our society, regardless of social class, strong women are viewed askance, people prefer weak women who can’t manage without a man. The war weakened women’s position further and took more freedoms from them. This professor was the exact opposite of such preconceptions. Once, she said to us: “When I felt stifled at home as a child, I went into our garden barefoot. I broke little branches off our pomegranate tree and started to play with them. I still do it today, for me the best remedy for bitterness is proximity to trees, but instead of playing with branches, now I use one to inscribe a short poem on the ground.”
“Why pomegranates, don’t you have any other trees?” one of the female students asked her.
“Of course we have other trees, but in our culture the pomegranate tree is the tree of love, you ought to know that,” she said, and began gathering up her books.
I knew what she meant, my grandmother had explained it to me once. Lots of pomegranates grow on each pomegranate tree, but only one, a single one of them bears a very special core. This core belongs to paradise, and love, joy, and good fortune will come to the person who tastes it. “Never share a pomegranate with anyone, my son, you might be giving your love away,” my grandmother had warned me.
That there was no pomegranate tree in this forest wouldn’t prevent me from doing the same. I attempted to write my words on the ground with branches, like my lecturer. I brushed the leaf litter to one side and wrote a short poem:
I am the stranger.
I have hope
and a suitcase full of secrets.
I carry both and go,
like a Sufi, who patiently
tries to flourish, wherever
the Lord has planted him.
As I left the lines on the forest floor came the calming thought that whoever read them, confronted by my Arabic script, might well themself feel something of a stranger. Is it possible to feel yourself a stranger in nature? I asked myself. In that moment I felt absolute love and belonging.
Published November 7, 2022
© Usama Al Shahmani 2018
© Bryn Roberts 2022
From In terra straniera gli alberi parlano arabo
Written in German by Usama Al Shahmani
Translated into Italian by Sandro Bianconi
E cos’erano mai le radici? Anche noi uomini le abbiamo? Potevo affermare con certezza di essere un iracheno? E cosa cambierebbe se non lo fossi? Il bell’albero mi dava gioia, e mi era indifferente che le sue radici si trovassero in Europa o in Asia.
Nella cultura irachena l’albero è collegato con l’incertezza e con le storie di spiriti maligni e demoni. Nel bosco ci si può perdere e non ritrovarsi più. Nei boschi di palme mancano sicurezza e chiarezza. Amiamo gli alberi ma detestiamo il bosco.
Tutti quegli alberi nel bosco mi erano estranei, eccetto pochi che stavano in bella fila come una poesia araba di sette parole. Di colpo mi erano familiari, come se fossimo vecchie conoscenze. Formavano una comunità come un amore sincero.
Non so cosa mi spinse a rivolgermi agli alberi ad alta voce. Fu la loro sorprendente apparizione? Un grande tiglio fu per me come una madre, e nel silenzio degli alberi gli dissi in arabo: hub. L’eco non ritornò come ‘amore’, bensì in arabo. Rimasi stupito e continuai: semah – shager, cielo – alberi.
Hub – semah – shager. L’eco araba ritornò diversa dal bosco; si fece sentire più snella, affilata. Fu una bella sensazione, sentire l’arabo nel bosco. Dunque la natura non era affatto muta, bastava rivolgerle la parola e stare ad ascoltarla. E gli alberi in terra straniera parlavano addirittura arabo, mi dissi, e aprii le braccia. Inspirai il profumo degli alberi, osservai i rami e le gemme e avvertii che il bosco mi accoglieva. Ebbi la sensazione di conoscere i sentieri, non seguii i cartelli indicatori – e mi smarrii. E tuttavia non ebbi paura di non più ritrovarmi.
In Iraq non ero mai stato nel bosco. Le immagini di alberi e boschi risalgono alle storie che mi raccontava la nonna. Ero cresciuto in città, le zone verdi erano poche. A parte i giardini privati, si vedevano alberi solo nei campi fuori città. I nostri alberi autoctoni, palme da datteri, ulivi, melograni e limoni, sono piantati e curati dalla mano dell’uomo. Nella natura libera gli alberi crescono in altro modo, ripeteva la nostra insegnante di lirica araba moderna. Il suo amore per la natura e gli alberi era appassionato quanto quello per i testi brevi. Era in salute nel fisico e nello spirito, e quando parlava di poeti e scrittori era talmente sicura di sé da sembrare in contatto quotidiano con loro.
“I più bei versi sono quelli che rispecchiano la natura, e una bella poesia deve essere studiata a memoria per tenere viva la propria anima” diceva.
Il suo influsso sulla classe era grande, molti studenti erano innamorati di lei, me compreso. Era bella, aperta, liberale, nubile e aveva una forte personalità. E di fronte a una natura simile molti iracheni non solo sono rispettosi ma anche cauti. La sua sicurezza non era apprezzata dai colleghi. Nella nostra società le donne forti, a prescindere dall’estrazione sociale, non sono benviste, si preferiscono quelle deboli che non sopravvivono senza l’uomo. La guerra ha indebolito ancora di più la posizione della donna e le ha sottratto altri spazi di libertà. Questa docente era l’esatto opposto di tale mentalità. Una volta ci disse: “Quando da bambina mi sentivo oppressa, uscivo scalza in giardino. Spezzavo rametti di melograno e cominciavo a giocarci. Oggi lo faccio ancora, perché il mio rimedio migliore contro l’amarezza è la vicinanza degli alberi, ma invece di giocare, coi rami scrivo una breve poesia nella terra”.
“Come mai un melograno, lei non ha altri alberi?” le chiese una ragazza.
“Certo, ma il melograno nella nostra cultura è l’albero dell’amore, lo dovrebbe sapere” disse, e cominciò a riporre i suoi libri.
Sapevo cosa intendeva, una volta la nonna me l’aveva raccontato. Ogni albero di melograno ha molti frutti, ma uno solo contiene un chicco particolare. Quel chicco appartiene al paradiso, e chi l’ha assaggiato conoscerà amore, gioia e fortuna nella vita. “Non condividere mai una melagrana con qualcuno, figlio mio, perché non sai se butti via l’amore” mi aveva raccomandato la nonna.
Che nel bosco non ci fossero melograni non mi aveva impedito di ripetere la stessa cosa che aveva fatto l’insegnante: provai a scrivere in terra le mie parole con un rametto. Ripulii il terreno dal fogliame e scrissi una breve poesia:
Sono lo straniero
Possiedo la speranza
e una valigia piena di segreti.
Le prendo e vado,
come un Sufi, che paziente
prova a fiorire, ovunque
il Signore l’ha trapiantato.
Quando lasciai i versi sul terreno, mi tranquillizzò il pensiero che un lettore si sarebbe certo sentito un po’ straniero scoprendo i miei segni arabi. Ci si può sentire stranieri nella natura? mi chiesi. In quel momento provai un senso di amore e di appartenenza assoluti.
Published November 7, 2022
Excerpted from Usama Al Shahmani, In terra straniera gli alberi parlano arabo, Marcos y Marcos, Milano 2021
© Usama Al Shahmani 2018
© Marcos y Marcos 2021
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